59. Sitzung des Untersuchungsausschusses ‚Terroranschlag Breitscheidplatz‘ im Deutschen Bundestag

Am 12. September 2019 fand im Bundestag die 59. Sitzung des Untersuchungsausschusses ‚Terroranschlag Breitscheidplatz‘ statt. Einziger Punkt der Tagesordnung war die Vernehmung dreier Zeuginnen die im untersuchungsrelevanten Zeitraum für das Bundesamt für Flüchtlinge und Migration (Bamf) gearbeitet hatten. Das Bamf ist eine von insgesamt 40 Behörden die in dem am 14. Dezember 2004 eingerichteten Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) vertreten sind. Das GTAZ ist eine bundesweite und behördenübergreifende Initiative, die vor dem Hintergrund der am 11. September 2001 in den USA von al-Qaida verübten Terroranschläge im Kampf gegen den internationalen Terrorismus gegründet worden war.

Als sicherheitsbehördliche Koordinierungsstelle strukturiert sich das GTAZ in zwei getrennten Auswertungs- und Analysezentren: der nachrichtendienstlichen Informations-und Analysestelle (NIAS) und der Polizeilichen Informations- und Analysestelle (PIAS). Innerhalb dieser Struktur ist NIAS hierarchisch über PIAS angesiedelt, d.h. das dem NIAS zugeordnete Beamte zwar uneingeschränkt Zugriff auf Informationen des PIAS haben, diese Kompetenzen aber nicht symmetrisch ausgerichtet sind.

Zielsetzung der Koordinierungsstelle, in der man sich ausschließlich mit der Bekämpfung islamistischen Terrorismus beschäftigt, ist die „Bewertung von Gefährdungssachverhalten und die Verhinderung terroristischer Anschläge[1]“. So ist es nicht verwunderlich, dass Beamte des GTAZ im Fokus der Untersuchungsprozesse um den am 19. Dezember 2016 auf dem Berliner Breitscheidplatz verübten Terroranschlag stehen. Durch die behördenübergreifende Einrichtung wird die zwischenbehördliche Kommunikation abgeflacht und optimiert um bei der Früherkennung von Bedrohungslagen Informationen auszutauschen und operative Maßnahmen abzustimmen. Anis Amri hatte man in diesem Rahmen öffentlichen Angaben zufolge mindestens elf Mal thematisiert.

Während der 48. Sitzung des Untersuchungsausschusses hatte ein Kriminalhauptkommissar des BKA Alexander Stephan angegeben, dass man zum ersten Mal am 25. November 2015 im GTAZ auf die Person des späteren Attentäters aufmerksam geworden war. Bereits zwischen Ende November und Ende Dezember 2015 war es Stephan gelungen, die unterschiedlichen Alias-Identitäten Amris aufzudecken und seine tatsächlichen Personalien festzustellen. Stephan, der von Mitte 2015 bis März 2016 als Sachbearbeiter am Gefahrenabwehrvorgang „Lacrima“ und dem Ermittlungsvorgang „Eisbär“ beteiligt gewesen war, war damals davon ausgegangen, dass durch den als Gefährder gehandelten Amri ein ständiges Gefahrenpotential ausging.

Durch offizielle Quellen wurde weiterhin bestätigt, dass der spätere Attentäter zumindest bis in die zweite Hälfte des Jahres 2016 im Fokus operativer Maßnahmen gestanden hatte. Denn im Juli 2016 hatte man Amri bewusst an einem Ausreiseversuch gehindert um eine Verbreitung terroristischen Gefahrenpotentials im Schengen-Raum zu unterbinden. Dass man den Terrorverdächtigen anschließend habe laufen lassen um ihn kurz darauf für mehrere Monate von jeglichen sicherheitsbehördlichen Maßnahmen auszuklammern ist aus operativer Sicht höchst unwahrscheinlich beziehungsweise unmöglich.

Eine zur 59. Sitzung des Untersuchungsausschusses geladene Zeugin ist die 32-jährige Sonja Rezvani. Als Regierungsamtsrätin hält sie eine Stellung im gehobenen Dienst und war in dieser Funktion zwei Jahre vom Juli 2015 bis 2017 im Dublin-Referat des italienischen Innenministeriums tätig. Dort hatte sie die asylrechtliche bilaterale Kooperation im Rahmen des 2013 geschlossenen Dublin-III-Abkommens bearbeitet und zwei elektronische Anfragen zu Anis Amri erhalten.

Die erste Anfrage erfolgte am 16. Februar 2016 und kam von Steffi Öchsle die als nächste Zeugin vor dem Untersuchungsausschuss aussagen würde. Eine Besonderheit der E-Mail, in der sechs Alias-Namen des späteren Attentäters genannt wurden,  bestand darin, dass sie mit dem Vermerk „eilt sehr“ und drei Ausrufezeichen versehen war. Auf Anregung Frau Rezvanis war eine Abfrage der italienischen Asyl-Datenbank erfolgt –diese hatte allerdings keine Treffer geliefert.

Am darauffolgenden Tag hatte die Rezvani vorgeschlagen ein förmliches “Info-Request” über das europäische Kommunikationssystem „Dublin-Net” an die Italiener zu richten. Da in einem „Info-Request“ auch biometrische Daten abgeglichen werden, waren die Erfolgschancen mit dieser Maßnahme einen Treffer zur Person des späteren Attentäters zu landen hoch: da Amri in Italien vier Jahre Haft abgesessen hatte, waren seine Fingerabdrücke sicherheitsbehördlich erfasst und in einer entsprechenden Datenbank hinterlegt worden. Die Frage, warum die Möglichkeit eines „Info-Requests“ trotz der vorherigen Anfrage mit dem Vermerk „eilt“ nicht genutzt wurde, bleibt ungeklärt.

Die Frage des Vorsitzenden Schuster, ob die Zeugin „auch mal polizeiliche Hintergründe“ erfahren würde, verneint sie. An den Fall Amri kann sich die Zeugin nicht erinnern.

Um 14:42 Uhr beginnt die Zeugenaussage der heute 32-jährigen Steffi Öchsle, der Verbindungsbeamtin des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im GTAZ. Zu ihren wesentlichen Aufgaben innerhalb der sicherheitsbehördlichen Koordinierungsstelle habe die Teilnahme an verschiedenen Arbeitsgruppen gehört. So habe die Zeugin an mehreren Sitzungen der AG Operativer Informationsaustausch teilgenommen in denen Amri thematisiert worden war. Ihre Aufgabe dabei war die Weiterleitung asylrechtlicher Informationen, außerdem sei sie als Ansprechpartnerin für das BKA tätig gewesen. Zunächst beschreibt Öchsle die Arbeitsaufteilung der Arbeitsgruppen innerhalb des GTAZ.

Erwähnt wird dabei die Ersterfassung der biometrischen Daten Amris am 5. Juli 2015 in Freiburg. „Problematische Fälle“ unter „islamistischen Asylbewerbern“ seien ebenfalls seit 2015 aufgefallen sagt die Zeugin aus. Die Frage der Abgeordneten Martina Renner, ob es im Zeitraum vom Februar bis zum Dezember 2016 eine Person gegeben habe in der im GTAZ häufiger gesprochen wurde als über den späteren Attentäter Anis Amri verneint die Zeugin. Dennoch lautet der Tenor der Aussagen anderer Zeugen, dass man die Gefährlichkeit des späteren Attentäters vor dem Terroranschlag verkannt habe.

So sei als Drittstaatangehöriger innerhalb der Sitzungen „keiner öfters behandelt worden als Amri“. Auch warum man keine ausländerrechtlichen Maßnahmen wie eine Rückführung oder eine Sicherungshaft gegen Amri umgesetzt hatte, kann nicht beantwortet werden. Denn durch die Präsenz von Vertretern des Bamf im GTAZ hätte eine entsprechende Maßnahme auf kürzestem Wege durchgesetzt werden können.

Auffällig war außerdem die Bemerkung einer Abgeordneten, die sich auf ein Tweet aus dem polizeiinternen Umfeld bezog: dabei habe es sich um eine Mitteilung vom 19. Dezember 2016 gehandelt, die kurz nach dem Anschlag auf Twitter veröffentlicht worden war und in der mit Bezug auf den Attentäter vom Breitscheidplatz gepostet worden war: „Täter tunesischer Moslem“.

 

 

[1] Bundeskriminalamt, Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ), aufgerufen am 18.9.2019: https://www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Kooperationen/GTAZ/gtaz_node.html

Bundestag, 1. Untersuchungsausschuss, 11.04.2019, aufgerufen am 18.9.2019: https://www.bundestag.de/presse/hib/635272-635272

Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode, Drucksache 19/943 Untersuchungsauftrag 1. Untersuchungsausschuss (aufgerufen am 20.9.2019): http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/009/1900943.pdf

Der Tagesspiegel, Chronologie des Breitscheidplatz Attentats, (aufgerufen am 20.9.2019): https://www.tagesspiegel.de/politik/chronologie-des-breitscheidplatz-attentats-anis-amri-polizeibekannter-gefaehrder/23765706.html

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.