08. November 2018: Sitzung des 1. Untersuchungsausschusses im Bundestag

Der am 08. November 2018 für die Anhörung im Untersuchungsausschuss „Terroranschlag Breitscheidplatz“ geladene Zeuge Michael Wolter ist ein ehemaliger Mitarbeiter des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (Lageso) des Landes Berlin. Der Grund für seine Anhörung als Zeuge im Zusammenhang mit dem am 19. Dezember 2016 auf dem Berliner Breitscheidplatz verübten Terroranschlag war die Erhebung personenbezogener Daten und eine Registrierung des späteren Attentäters Anis Amri bei Lageso. Michael Wolter und seine Kollegen hatten personenbezogene Daten und Fotos von Asylantragstellern erfasst und zusammengestellt. Dass dabei eine Überprüfung des Wahrheitsgehalts der Angaben der Antragssteller nicht möglich gewesen war, war einer der zentralen Aspekte der Zeugenbefragung. Denn wie sich später herausgestellt hatte, hatte sich A. Amri im Verlauf des Jahres 2015 insgesamt drei Mal unter verschiedenen Namen registrieren lassen. Und zumindest einen dieser Anträge, auf dem sich Amri als „Mohamed Hassan“ ausgegeben hatte, hatte der Zeuge unterschrieben. Aber an den Tunesier kann sich Herr Wolter nicht erinnern. Vermutlich war er Amri nicht einmal begegnet: um den personellen Engpässen des Landesamtes Abhilfe zu verschaffen, hatte man unter anderem Mitarbeiter der Bundeswehr für die Registrierung der Flüchtlinge hinzugezogen, direkte Mitarbeiter vom Lageso hatten die vorab ausgefüllten Formulare nur noch unterschrieben.

Während einer Pause der Sitzung fange ich den Zeugen in Anwesenheit seines Anwalts vor dem Sitzungssaal ab: „Guten Tag Herr Wolter! Darf ich Ihnen zwei Fragen zu Ihrer Aussage stellen?“ Sogleich wird der Zeuge von seinem Anwalt darauf hingewiesen, dass er das Recht hat mir gegenüber die Auskunft zu verweigern. Aber Herr Wolter nickt mir zustimmend zu.

„Sie haben angegeben, dass die biometrischen Daten bei der Erfassung der Daten der Asylantragssteller nicht digitalisiert wurden. Bei der tatsächlichen Ersterfassung der personenbezogenen Daten Amris in Freiburg ist dies aber geschehen. Dennoch haben Sie darüber hinaus angegeben, dass Ihrer Behörde Fotos der Asylantragsteller vorlagen. Wie darf ich mir das vorstellen? Wie haben Sie die Fotos gemacht?“

„Die Fotos wurden in Fotoautomaten gemacht.“ „In Fotoautomaten, so wie in U-Bahnhöfen?“ „Ja, genau.“ „Warum hat man Ihnen keine Digitalkameras zur Verfügung gestellt?“ „Das wäre zu aufwendig gewesen.“ Auch wenn diese Angabe inhaltlich vielleicht nicht ganz zutreffend ist, glaube ich, dass Herr Wolter vom Wahrheitsgehalt dieser ihm eventuell selbst zu einem früheren Zeitpunkt angetragenen Information überzeugt ist.

Denn der Arbeitsaufwand durch die Nutzung einfacher Digitalkameras bei der Erfassung biometrischer Daten von Asylantragsstellern erscheint weit weniger aufwendig als das Aufstellen von Fotoautomaten auf einem Gelände das provisorisch für die Erstuufnahme von Flüchtlingen hergerichtet worden war. Um die Automaten zahlen zu können, mussten den Flüchtlingen außerdem zunächst Münzen ausgehändigt werden. Danach dann mussten die Fotos an die Sachbearbeiter übergeben und von diesen zurechtgeschnitten und an die Formulare geheftet werden. Ein unnötig bürokratischer Prozess, durch den zusätzlich eine zentralisierte Erfassung biometrischer Daten und damit die Einschränkung möglicher Fehler bei der Erstregistrierung personenbezogener Daten von Anfang an ausgeschlossen worden war. Ein entsprechender Vorgang wäre über die Zuordnung der biometrischen Daten (auch durch den Abgleich visueller Erkennungsmerkmale, die durch ein einfaches Foto erhoben werden können) zu einer Registrierungsnummer problemlos umsetzbar gewesen. Die Speicherung biometrischer Daten in einem Zentralregister ist seit mehreren Jahren nicht nur möglich, sie ist darüber hinaus gängige Praxis bei polizeilichen Erkennungsverfahren. Wäre nun der Versuch einer weiteren „Ersterfassung“ personenbezogener Daten erfolgt, hätten die biometrischen Daten mithilfe eines entsprechenden Algorithmus mit den in einer zentralen Datenbank abgelegten biometrischen Daten abgeglichen werden können. Bei der Registrierung hätte man bei einem entsprechenden Verfahren dann feststellen können, dass die zu registrierende Person bereits zu einem früheren Zeitpunkt mit eventuell abweichenden Angaben erfasst wurde. Denn biometrische Daten lügen nicht.

So verfügt das GTAZ durchaus über eine Arbeitsplattform in der für den Staatsschutz möglicherweise interessante Daten zentralisiert erfasst werden. Aber Reichweite und Relevanz einer solchen zentralen Datenbank werden trotz digitaler und länder- und behördenübergreifender Verfahrensweisen des Gemeinsamen Terrorismus Abwehrzentrum im Verlauf der Untersuchungsausschüsse regelmäßig geleugnet. Die nachrichtendienstliche Informations- und Analysestelle (NIAS), für die das Bundesamt für Verfassungsschutz verantwortlich ist, stellt eine solche Plattform zentralisierter Informationen dar. Warum die Nutzung entsprechender technischer Möglichkeiten öffentlich abgestritten oder heruntergespielt werden, ist dagegen nicht ersichtlich.

So hatte auch der Leiter des Sachgebiets Ausländer- und Asylrecht im bayerischen Innenministerium, Hans-Eckhard Sommer, während einer der Sitzungen des Untersuchungsausschusses im April 2018 angegeben, dass die zentrale Erfassung biometrischer Daten und ein dezentralisierter Zugriff auf diese Daten aller in die Prozesse von Asylverfahren involvierten Behörden vor dem von Amri verübten Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz „politisch nicht gewollt“ gewesen sei. Viel interessanter wäre es also gewesen, dieser Frage nachzugehen, als Herrn Wolter nach einem fachlichen Rat für weiteren Verlauf und Zielestzung der Untersuchungsprozesse zu fragen.

 

Deutscher Bundestag, 1. Untersuchungsausschuss, Sitzung vom 20. April 2018: https://www.bundestag.de/presse/hib/2018_04/-/551252

Deutscher Bundestag, 1. Untersuchungsausschuss, Sitzung vom 08. November 2018: https://www.bundestag.de/presse/hib/-/577852

 

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.