Bundestag: die 57. Sitzung des parlamentarischen Untersuchungsausschusses

Am 27 Juni 2019 um 13:30 Uhr wird die 57. Sitzung des Untersuchungsausschusses eröffnet. Einziger Punkt der Tagesordnung ist wie üblich die Beweisaufnahme durch Zeugenvernehmungen. Der erste an diesem Tag geladene Zeuge ist der Leitende Oberstaatsanwalt der Generalstaatsanwaltschaft Berlin. Der 56-jährige betont im Vorfeld seiner Aussage dass „alles, wirklich alles versucht“ worden sei um einen Anschlag in der Hauptstadt zu verhindern. Die „neue Aufgabenstellung und Verfahrensweise“ habe sich als nicht effektiv herausgestellt. Man müsse „alles tun um die Strafverfolgungsbehörden noch besser auszustatten“ sagt der Zeuge und fügt dann hinzu „auf dem Weg dorthin sind wir schon ein ganzes Stück weiter gekommen.“

Ein ganzes Stück weiter gekommen waren die mit dem Staatsschutz beauftragten Sicherheitsbehörden allerdings schon im Jahr 2004, als das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) als bundesweite Initiative vor dem Hintergrund der am 11. September 2001 in den USA verübten Terroranschläge eingerichtet worden war.

Das GTAZ sollte eine intensivierte Koordinierung der Aktivitäten unterschiedlicher Behörden im Kampf gegen den internationalen islamistischen Terror ermöglichen. Durch die Kooperations- und Kommunikationsplattform wird der Informationsaustausch von insgesamt vierzig Länder- und Bundesbehörden abgestimmt. Dabei werden für den Staatsschutz relevante Informationen in zwei getrennt eingerichteten Arbeitsplattformen zentral verwaltet: die nachrichtendienstliche Informations- und Analysestelle NIAS und die polizeiliche Arbeitsplattform PIAS (die beim Bundeskriminalamt angesiedelt ist). Die durch diese Voraussetzungen geschaffenen Rahmenbedingungen wurden durch die Aussagen anderer Zeugen bestätigt. Demzufolge habe es bei zwischenbehördlichen Informationsflüssen keine Engpässe gegeben.

Parallel zu der in Berlin gegründeten Initiative des GTAZ wurde auf europäischer Ebene die Counter-Terrorism-Group (CTG) eingerichtet in der die europäischen Dienste bereits seit 2004 Informationen austauschen und auf internationaler Ebene ihre Aktivitäten koordinieren. An der Initiative beteiligt sind der Verfassungsschutz und weitere Sicherheitsbehörden der anderen 27 EU-Mitgliedstaaten sowie Norwegen und der Schweiz. Die Arbeitsweise des CTG strukturiert sich ähnlich wie die des GTAZ in Arbeitsgruppen in denen Beamte Informationen zu islamistischen Netzwerken und Einzelfällen austauschen. Diese sicherheitsbehördlichen Netzwerke sind nicht neu; tatsächlich verfügen sie über jahrzehntelange Praxis im Feld der präventiven Terrorabwehr und seit ebenso langer Zeit über äußerst umfangreiche finanzielle und personelle Ressourcen.

Darüber hinaus wurde eine weitreichende Beteiligung US-amerikanischer Sicherheitsbehörden im „Fall Amri“ bestätigt. Aber auch über diesen Sachverhalt schweigt sich die Bundesregierung aus. In einer kleinen Anfrage hatten mehrere oppositionelle Abgeordnete eine Auskunft zu durch US-amerikanische Behörden in Berlin ausgeführte Überwachungsmaßnahmen angefordert. Die Auskunft wurde durch die Bundesregierung mit Berufung auf die „Third Party Rule“ verweigert.

Informationen zu diesem Sachverhalt würden die „außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit“ der Bundesregierung „erheblich beeinträchtigen“. Darüber hinaus eingeschränkt würde die vor dem Hintergrund des internationalen Terrorismus „überragend bedeutungsvolle“ Funktions- und Kooperationsfähigkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz –dessen Einbindung in den im Vorfeld des Berliner Terroranschlags ausgearbeiteten Ermittlungskomplex allerdings von der Behörde selbst zunächst vollständig abgestritten worden war. Verwiesen hatte die Behörde dabei auf ihren Zuständigkeitsbereich –der habe sich nicht mit dem Fall Amri gedeckt.

Und auch an Gelegenheiten den späteren Attentäter zu observieren und an der Ausübung einer schweren, staatsgefährdenden Straftat zu hindern hätte es der für diese Aufgabe vorgesehenen Behörde nicht gemangelt (siehe frühere Blogbeiträge). Dennoch fordert der Zeuge die anwesenden Abgeordneten auf: „Wiederstehen Sie bitte bei der Beurteilung der Geschehnisse der Versuchung das Verhalten der Mitarbeiter auf der Basis des Wissens von heute zu beurteilen.“

Das Argument einer vermeintlichen „Verweltlichung“ aufgrund derer man offiziellen Angaben zufolge schließlich von einer Fortführung der Observationsmaßnahmen abgesehen habe hält der Einbindung des Attentäters in islamistische Netzwerke nicht stand. Bereits im Jahr 2015 war durch den Ermittlungskomplex Ventum bekannt, dass der als Top-Gefährder gehandelte Amri eigenen „Angaben“ zufolge Kontakte zu den Drahtziehern der Pariser Attentate unterhalten hätte. Auch hier wird die vorsichtige Formulierung „Angaben“ verwendet. Denn sollten sich diese Kontakte tatsächlich bestätigen würden die im Vorfeld des Terroranschlags erfolgten Ermittlungsarbeiten mit einer neuen und politisch sehr viel umfassenderen Ausrichtung rekonstruiert werden müssen.

Erwiesen ist mittlerweile dass Beamte höchster Regierungsebenen am Fall Amri und der im Nachfeld erfolgenden systematischen Verklärungen der Prozesse beteiligt waren. Der Fall Terroranschlag Breitscheidplatz stellt sowohl Demokratiefähigkeit und staatliche Unabhängigkeit der Bundesrepublik auf einen in diesem Maß nie dagewesenen Prüfstand.

 

Quellen:

Bundesamt für Verfassungsschutz, Homepage: Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ), aufgerufen am 24.7.2019: https://www.verfassungsschutz.de/de/arbeitsfelder/af-islamismus-und-islamistischer-terrorismus/gemeinsames-terrorismusabwehrzentrum-gtaz

 

Welt online, aufgerufen am 24.7.2019: https://www.welt.de/politik/deutschland/article150566435/EU-Geheimdienste-richten-Terror-Abwehr-Zentrum-ein.html

 

Spiegel online, ‚Europäische Geheimdienste richten Anti-Terror-Zentrum ein‘,

aufgerufen am 24.7.2019: https://www.spiegel.de/politik/ausland/terrorismus-europaeische-geheimdienste-richten-anti-terror-zentrum-ein-a-1078201.html

 

 

https://www.gesetze-im-internet.de/bverfschg/BJNR029700990.html:

(2) Das Bundesamt für Verfassungsschutz wertet unbeschadet der Auswertungsverpflichtungen der Landesbehörden für Verfassungsschutz zentral alle Erkenntnisse über Bestrebungen und Tätigkeiten im Sinne des § 3 Absatz 1 aus. Es unterrichtet die Landesbehörden für Verfassungsschutz nach § 6 Absatz 1, insbesondere durch Querschnittsauswertungen in Form von Struktur- und Methodikberichten sowie regelmäßig durch bundesweite Lageberichte zu den wesentlichen Phänomenbereichen unter Berücksichtigung der entsprechenden Landeslageberichte.

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