31. Sitzung des Untersuchungsausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus

Zur 31. Sitzung des Untersuchungsausschusses „Terroranschlag Breitscheidplatz“ im Berliner Abgeordnetenhaus wurde als Zeuge der ehemalige Leiter der Abteilung II der Senatsverwaltung für Inneres und Sport geladen. Abteilung II, das ist der Berliner Verfassungsschutz, der Nachrichtendienst des Landes Berlin.

Am 6. September 2019 um 10:20 Uhr wird der Zeuge, ein korpulenter Mann Anfang fünfzig, vorgeführt in Raum 113 des Berliner Abgeordnetenhauses. Er erscheint in Begleitung einer Anwältin und eröffnet seine Aussage mit einem Beitrag zur Aufstellung und Arbeit der Abteilung II die er mittlerweile nicht mehr führt. Die Frage des Vorsitzenden, ob ihm der Gegenstand der Untersuchung bekannt sei, bejaht der Zeuge. „Bitte geben Sie uns einen Hinweis, sobald Ihre Aussage einem Geheimhaltungsschutz unterliegt“ fordert der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses Stephan Lenz den Zeugen anschließend auf.

Zu Beginn seiner Aussage holt der Zeuge aus um die Lage innerhalb seiner Behörde im Jahr 2015 zu schildern. Nicht zuletzt aufgrund personeller Engpässe sei diese prekär gewesen. Er spricht von einem „massiven Anwuchs“ radikalislamischer Personen in den Jahren 2015 und 2016, von einer konkreten „Bedrohung Islamistischen Terrorismus“ und schildert auch die Entwicklungen innerhalb der islamistischen Szene:

Aufgrund des erschwerten Beschaffungsgrades von Explosions- und Schusswaffen seien radikalislamische Personen dazu übergegangen, vermehrt alltägliche Gebrauchsgegenstände als Waffen einzusetzen. So seien durch radikalislamische Führer zunehmend Aufrufe erfolgt „einfache Dinge“ als Waffen einzusetzen: „Nehmt Jeeps, nehmt LKWs!“ liest der Zeuge . „Ein Küchenmesser hat jeder zuhause, ein Auto kann sich jeder suchen.“ Die Gefahrenlage habe sich so zusätzlich intensiviert.

Durch einen Ausbau der Nachrichtendienste könne die Gefahrenlage zwar eingeschränkt nicht aber vollständig beseitigt werden so der Tenor des ehemaligen Vorsitzenden der Abteilung II. Seine Schilderung wirkt einstudiert, dabei schlägt der Mann einen fast lehrmeisterlichen Ton an und untermalt seine Ausführungen gelegentlich mit den Armen: „Eine totale Sicherheit gibt es nicht –es tut mir außerordentlich leid, dass so sagen zu müssen

Der Zeuge fährt fort die Arbeit des Verfassungsschutzes zu beschreiben und nennt im selben Satz die seiner Auffassung nach enge Reglementierung der die Behörde in diesem Rahmen unterstellt sei. Die Wahrnehmung nachrichtendienstlicher Tätigkeit würde „intensiv observiert und überwacht“ durch ein „intensives parlamentarisches Kontrollsystem.“ Um seine Aussage zu untermauern liest der Zeuge aus dem Berliner Verfassungsschutzgesetz vor und nimmt konkret Bezug auf die Paragraphen 2 und 5 –unter anderem auf die gesetzlich reglementierte Teilung von Polizei und Verfassungsschutz.

Dabei erwähnt der Zeuge weder die bestehende Hierarchie zwischen den Behörden noch die massiven Unterschiede der technischen Ausstattungen der Ämter. Auch zu den Gegensätzen in der sicherheitsbehördlichen Transparenz und der durch externe Instanzen nicht einsehbaren Mittelverwendung des Verfassungsschutzes schweigt der Zeuge sich aus. Was der Zeuge bei seiner Aussage betont sind die seiner Ansicht nach strengen gesetzlichen Regelungen mit denen der Nachrichtendienst kontrolliert wird. Aber auch der Zeuge räumt ein, dass der Verfassungsschutz Befugnisse habe „die die Polizei nicht hat“.

Außerdem spricht der Zeuge den zwischenbehördlichen Informationsaustausch an. Auch dieser ist im Verfassungsschutzgesetz reglementiert und unterliegt strengen Auflagen. Dieser gesetzlich reglementierte Verantwortungsbereich war zunächst durch das Bundesamt für Verfassungsschutz geleugnet worden: das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte jede Kenntnisnahme von Informationen zur Person des späteren Attentäters A. Amri von sich gewiesen.

Auch die Definition des Begriffes „Gefährder“ relativiert der Zeuge –ein Gefährder sei jede Person durch die eine Straftat zu erwarten sei, unabhängig davon ob es sich um eine gewöhnliche oder eben eine staatsgefährdende Straftat handeln würde. Der Unterschied sei die gesetzlich definierte sicherheitsbehördliche Verantwortung. So nimmt der Zeuge auch Bezug auf die vermeintliche „Verweltlichung“ des Attentäters, darauf, dass man davon habe ausgehen müssen, dass er zwar als kriminell einzustufen sei –aber eben nicht mehr anzusiedeln im Umfeld eines salafistischen Personenkreises. Daher sei die gesetzliche Verantwortung für den späteren Attentäter eher bei der Polizei anzusiedeln gewesen.

Andere Hinweise habe es nicht gegeben. Fotos von Amri die dem Verfassungsschutz vorgelegen hatten seien „zufällig“ entstanden und erst „retrograd“, also nach Verübung des Terroranschlags, als ermittlungsrelevante Gegenstände aufgestuft worden. Ob Amri vor dem Anschlag als potentieller Attentäter eingestuft worden war oder eingestuft hätte werden können –dazu äußert sich der Zeuge höchst widersprüchlich: mal spricht er sich dafür aus, dann wieder beschreibt er die sicherheitsbehördlichen Eindrücke des späteren Terroristen als die eines einfachen Kriminellen.

Im Vorfeld des Anschlags habe man sich nachrichtendienstlich nicht mit Amri befassen müssen. Auch ob der auf dem Berliner Breitscheidplatz verübte Terroranschlag im Rahmen einer nachrichtendienstlichen Präventionsarbeit überhaupt hätte verhindert werden können stellt der Zeuge in Zweifel. Denn wie er am Anfang seiner Aussage mitgeteilt hatte, war der Terroranschlag zu einem Zeitpunkt verübt worden, als zunehmend Kraftfahrzeuge zur Ausführung staatsgefährdender Gewalttaten eingesetzt wurden. Keine Erwähnung fanden bei den Angaben des Zeugen allerdings die zum damaligen Zeitpunkt bereits bestehenden Kontakte zum Islamischen Staat des späteren Attentäters, dessen enge Einbindung in die Berliner Islamisten-Szene und seine widerholt artikulierten und behördlich erfassten Absichten eine schwere staatsgefährdende Gewalttat zu begehen.

Unter anderem hatte Amri mit auffälliger Häufigkeit die Berliner Fussilet Moschee frequentiert. In der engmaschig observierten Moschee hatte er als Imam gepredigt und deren Räumlichkeiten wiederholt als Schlafstätte genutzt. Erwähnt worden war der Verein „Fussilet 33“ bereits im Verfassungsschutzbericht 2015 des Landes Berlin. Dort heißt es, dass das Landesamt für Verfassungsschutz bereits im Januar 2015 an elf verschiedenen Objekten in Berlin Durchsuchungsmaßnahmen gegen den Verein „Fussilet 33“ durchgeführt hatte.

Bisherige Erkenntnisse des Sonderermittlers des Berliner Senats und der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse legen die Schlussfolgerung nahe, dass der Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz erst aufgrund gezielter Eingriffe in die im Vorfeld des Terroranschlags eingetretenen Abläufe ausgeführt werden konnte. So widerspricht der Aussage des Zeugen auch die Ende Juli 2016 erfolgte sicherheitsbehördliche Unterbindung eines Ausreiseversuches des Gefährders. Offiziellen Angaben zufolge hatte man den späteren Attentäter durchgehend „getrackt“ und hatte durch die laufende Observation des Topgefährders detaillierte Erkenntnisse von dessen Absichten nach Tunesien auszureisen um in seinem Herkunftsland mit den durch den Drogenhandel erwirtschafteten Geldern einen Fuhrpark einzurichten.

Offiziellen Quellen zufolge hatte man Anis Amri am 30. Juli 2016 daran gehindert die Bundesrepublik zu verlassen um eine Verbreitung terroristischer Bestrebungen im Schengenraum zu unterbinden. Anderen Angaben zufolge sei die Unterbindung des Ausreiseversuches des Gefährders auf einen eher unwahrscheinlichen Zufall zurückzuführen. Wenn allerdings zutrifft, dass der spätere Attentäter gezielt an einem Ausreiseversuch gehindert wurde, bleibt dringend zu klären, wie die behördlich erfasste Relevanz seiner Person für den Staatsschutz im Nachhinein weiterhin bestritten werden kann.

Eigenen Angaben zufolge habe der Zeuge zum Zeitpunkt des Anschlags mit „Fieber im Bett gelegen“ und, als man ihn angerufen habe um ihn über den Vorfall zu unterrichten, zunächst nicht gewusst, ob es sich um einen einfachen Autounfall oder einen Terroranschlag gehandelt habe. Die Erkenntnis, dass es sich um einen Terroranschlag gehandelt hatte, habe sich erst zu einem späteren Zeitpunkt eingestellt.

Auf die Frage, ob der Zeuge Kenntnis davon habe ob das Bundesamt für Verfassungsschutz eine Verbindungsperson in der Fussilet-Moschee geführt habe, antwortet der Zeuge: „Ich will Ihnen ganz ehrlich sagen: Nein.“

 

 

Quellenangaben:

  1. Sitzung des Untersuchungsausschusses „Terroranschlag Breitscheidplatz“, Berliner Abgeordnetenhaus, 6. September 2019

Aussagen von Zeugen während vorheriger Sitzungen der Untersuchungsausschüsse auf Ebene des Bundes und des Landes Berlin; Einzelgespräche mit Sachverständigen, Abgeordneten und Polizeibeamten

Welt online; Baden-Württemberg: „Stuttgart wiederspricht“, veröffentlicht am 12.10.2017: https://www.welt.de/regionales/baden-wuerttemberg/article169580846/Stuttgart-widerspricht.html

Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport, Verfassungsschutzberichte; Verfassungsschutzbericht 2015 (aufgerufen am 8. September 2019): https://www.berlin.de/sen/inneres/verfassungsschutz/publikationen/verfassungsschutzberichte/

 

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