Während der 65. Sitzung sagt als erster Zeuge der Kriminaloberkommissar G. K. aus. Befragt wird er hauptsächlich zum Sachverhalt der Ausreiseverhinderung des späteren Attentäters Anis Amri, der am 30.7.2016 kurz nach Mitternacht in Friedrichshafen durch die Bundespolizei festgenommen worden war.
Im Wiederspruch zu früheren Aussagen gibt der Zeuge an, dass die Unterbindung des Ausreiseversuchs nicht durch das Berliner LKA erfolgt war. Zwar habe das Landeskriminalamt durch Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen Kenntnis über Ausreiseabsichten des Gefährders erhalten. Aber die Anregung Amri an einer Ausreise zu hindern sei nicht aus dem Berliner LKA hervorgegangen.
Der Aussage des Zeugen zufolge waren die Sicherheitsbehörden im Juli 2016 von Amris Ausreiseplänen informiert gewesen –auch darüber, dass das eigentliche Reiseziel Tunesien gewesen sei. Während Telefonaten mit Familienangehörigen hätte der spätere Attentäter seine Ausreisepläne mitgeteilt.
Auf die Frage des Vorsitzenden des 1. Untersuchungsausschusses der 19. Wahlperiode Klaus-Dieter Gröhler, warum man den Gefährder nicht „einfach habe fahren lassen“ antwortet der Zeuge: „Wir haben ihn doch fahren lassen.“ „Ja, aber Sie haben ihn ja später festnehmen lassen.“
Der Zeuge verweist darauf, dass es die Bundespolizei gewesen sei die Amri schließlich aus dem Flixbus entfernt und an dem Ausreiseversuch gehindert habe. „Soweit ich weiß, wussten Sie dass es sich um einen Gefährder handelte“ sagt der Zeuge mit Bezug auf die Bundespolizisten die den späteren Attentäter festgenommen hatten.
„Ist es normal, dass so viele Behörden –beispielsweise das Bundesamt für Verfassungsschutz- informiert werden- wenn ein Gefährder das Land verlassen will?“
„Warum wird da so eine Maschinerie angeworfen?“ (Benjamin Strasser, FDP)
Während der 65. Sitzung werden auch die strafrechtlich relevanten Handlungen des späteren Attentäters thematisiert. Angesprochen werden dabei der Fall schwerer Körperverletzung und der gewerbsmäßige Drogenhandel des zum damaligen Zeitpunkt als Gefährder eingestuften Tunesiers. Die Frage des Vorsitzenden, ob Amri seinen Lebensunterhalt vollständig mit Drogenhandel finanzierte habe, bejaht der Zeuge. Die darauf folgenden Fragen anderer Abgeordneter, warum vor diesem Hintergrund nicht darauf hingewirkt worden war, einen Haftbefehl gegen den Gefährder zu erlassen kann der Zeuge nicht beantworten.
„Es war mit der Staatsanwaltschaft abgestimmt, dass eine Übergabe zu einem Drogendezernat stattfinden sollte. Das ist nicht erfolgt.“ Jedoch gibt der Zeuge an sich nicht daran erinnern zu können, ob er bei der Kommissariatsleitung vorgesprochen hatte um seiner „Verwunderung“ darüber Ausdruck zu verleihen.
Telefonaten mit Familienangehörigen habe man auch entnommen, dass Amri in „den Vorfall in der Hertastraße“ verwickelt gewesen war. Gemeint ist damit ein Fall schwerer Körperverletzung der am Morgen des 11. Juli 2016 in einer Shisha-Bar in Berlin Neukölln verübt wurde. Dabei habe Amri mit einem Fliesengummihammer auf mehrere Personen eingeschlagen und habe diese zum Teil lebensgefährlich verletzt.
Auf die Frage seines in Tunesien wohnhaften Bruders, welche strafrechtlichen Konsequenzen er mit Hinsicht auf die schwere Körperverletzung in der Shisha-Bar zu erwarten habe, habe sich der spätere Attentäter selbst überaus besorgt gezeigt. Dies ginge aus der Telekommunikationsüberwachung eines weiteren Anrufs hervor. Auch hier hätte die Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl gegen Amri beantragen können, hatte den Versuch aber aus ungeklärtem Grund unterlassen.
- Sitzung des 1. Untersuchungsausschusses ‚Terroranschlag Breitscheidplatz‘, 24. Oktober 2019, Deutscher Bundestag
Welt online, Warum Amri eben doch ein typischer Terrorist war, veröffentlicht am 3.4.2017, abgerufen am 11.11.2019: https://www.welt.de/politik/deutschland/article163362684/Warum-Amri-eben-doch-ein-typischer-Terrorist-war.html