Am 19. Dezember 2016 sind im Herzen der Bundeshauptstadt zwölf Menschen ermordet worden. Die Hintergründe zu diesem Anschlag auf die demokratischen Grundwerte der Bundesrepublik Deutschland liegen bis heute im Dunkeln. Dennoch sind die politischen Konsequenzen für die Bundesrepublik weitreichend. Es liegt mir fern, in meinem Blog meinungsbasierte Behauptungen oder sonstige Formen von Thesen aufzustellen. In diesem Beitrag beschreibe ich Sachverhalte, von denen jeder einzelne durch Quellen zu belegen ist und durch entsprechende Angaben unter der Liste der Referenzen dokumentiert wird.
„Wir sind ein Dienstleister für Demokratie“ Dr. Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz [1]
Die amerikanischen Behörden waren alarmiert: das Außenministerium der USA hatte ausdrücklich vor Reisen nach Europa gewarnt und auf das erhöhte Risiko von Terror-Anschlägen insbesondere auf Weihnachtsmärkten hingewiesen[2]. Auch die deutschen Behörden zeigten sich in Alarmbereitschaft: am 11.08.2016 stellte der amtierende Bundesinnenminister Thomas de Maizière den Maßnahmenkatalog zur Inneren Sicherheit vor [3]. Zu den empfohlenen Maßnahmen gehörte allerdings nicht, den größten Weihnachtsmarkt im Zentrum der deutschen Hauptstadt mit einer so einfachen Maßnahme wie Betonblöcken zu schützen. Mit deren Hilfe nämlich wäre der Terrorangriff vom 19. Dezember 2017 von vorneherein abgewehrt worden. Und spätestens durch das Attentat von Nizza am 14. Juli 2016 hätten Deutsche Nachrichtendienste ein Bewusstsein für das vom Missbrauch von Lastkraftwagen ausgehende Risiko im Zusammenhang mit Terror-Anschlägen und den hier einzusetzenden Schutzmaßnahmen entwickeln müssen. Entsprechende Vorkehrungen hatte es deutschlandweit bereits zu verschiedenen anderen Anlässen während der Sommermonate 2016 gegeben[4].
In den ersten zwei politischen Sitzungen an denen ich Anfang des Jahres 2017 teilnahm, wurde wiederholt die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland thematisiert. Ein amtierender Bundestagsabgeordneter betonte mehrmals seine Unterstützung für die Erweiterung des Kompetenzbereiches der deutschen Inlandsnachrichtendienste als unmittelbare Antwort der Politik auf den Anschlag vom Breitscheidplatz. Durch den so geschaffenen politischen Handlungsdruck, war eine mit einer Ausweiterung des Einflussbereiches der Nachrichtendienste einhergehende Erweiterung der Sicherheitsvorkehrungen als einzig kurzfristig umsetzbare Reaktion zu erwarten. Denn dass die Regierung reagieren musste, war allen Seiten von Anfang an erkenntlich.
Das Paradoxe daran ist, dass auch durch die von der Politik durchgewunkenen Kompetenzerweiterungen deutscher Nachrichtendienste, und den damit verbundenen intensivierten Überwachungsmaßnahmen öffentlicher Plätze, der Anschlag am Berliner Breitscheidplatz nicht hätte verhindert werden können. Im Gegenteil lässt die Prüfung der Umstände des Terroranschlages vom 19. Dezember 2016 keine andere Schlussfolgerung zu, als dass die Begründung der Nachrichtendienste, das Zustandekommen der Ereignisse vom 19. Dezember 2016 sei auf einen Mangel behördlicher Kompetenzen zurückzuführen, nicht den Fakten entspricht.
Auffällig ist allerdings, dass eine entsprechende Argumentation dennoch zur Erweiterung des bestehenden Kompetenzbereiches einschlägiger Behörden geführt hat. Die Ausweitung der behördlichen Befugnisse („Eingriffsbefugnisse“) beschränkt sich nicht auf Identitätskontrollen und erweiterte Bereiche der „Videoüberwachung“, sie stellt außerdem einen „nicht unerheblichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ dar, wie der Berliner Senat in der Stellungnahme zu dem Antrag zur Änderung des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes selbst einberaumt [5]. Weiter heißt es in dem Dokument, der Eingriff sei „[…]nicht unerheblich, da der keine Straftaten begehende Betroffene keinerlei Anlass für den Eingriff bietet[…]“.
Seit dem 14. März 2016 wurde Anis Amri als Terror-Verdächtiger „wegen des Verdachts der Vorbereitung einer staatsgefährdenden Straftat“ observiert. Die Hintergründe zum Täter sind ohnehin höchst mysteriös: nachdem die Observierung des damals Terrorverdächtigen beendet wurde, wird Amri nach einer Kontrolle aufgrund seines abgelehnten Asylantrages in Deutschland für die Dauer von zwei Tagen in Abschiebehaft genommen. Danach kommt er frei: es fehlen Dokumente aus Tunesien, die eine sofortige Abschiebung in das Herkunftsland des Terrorverdächtigen ermöglicht hätten. Und obwohl seine damalige Duldung sich auf das Bundesland Nordrhein-Westfalen beschränkt hatte, kann der von behördlicher Stelle als „Gefährder“ eingestufte Amri sich laut Spiegel online mit sechs verschiedenen Identitäten ungehindert in Deutschland bewegen. Dem hätte durch striktere, behördlich auferlegte Meldeauflagen entgegengewirkt werden können. Durch diese Maßnahme, die aufgrund der einschlägigen Vorgeschichte Amris durch einen entsprechenden richterlichen Beschluss problemlos hätte umgesetzt werden können, hätte sich der Terrorverdächtige bis zum Zeitpunkt seiner tatsächlichen Abschiebung täglich bei der Polizei melden müssen. Unter dieser Voraussetzung wäre es dem Terroristen nicht gelungen, die logistischen Vorbereitungen zu treffen, die für die Umsetzung des Terror-Anschlags vom Breitscheidplatz nötig waren [6].
Eine mögliche Erklärung für diese Ungereimtheiten wäre, dass der Verfassungsschutz selbst Anis Amri hatte aktiv werden lassen. Eine entsprechende Anfrage durch eine Bundestagsfraktion wurde allerdings durch das Bundesinnenministerium dementiert [7]; [8].
Im vom Bundesministerium des Innern veröffentlichten Verfassungsschutzbericht 2015 wird auf Seite 17 auf die bestehenden Kontrollen der Behörde hingewiesen, unter anderem durch „die Fachaufsicht durch das Bundesministerium des Innern (BMI)“ [9]. Allerdings wird bei diesem Hinweis nicht erwähnt, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz dem Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums des Innern zugeordnet ist. Insofern hat eine Kontrollfunktion die dem Kompetenzbereich des BMI als übergeordneter Behörde zugeordnet ist, allenfalls selbstregulatorische Qualität. Würde man von ähnlichen Verhältnissen im Privatsektor ausgehen, wäre das ungefähr so, als wenn der übergeordnete Mutterkonzern die regulatorische Verantwortung und Kontrolle eines Unternehmens tragen würde. Allerdings ist jedes in der Wirtschaft aktive Unternehmen, um einen effizienten Verbraucherschutz zu gewährleisten, durch Gesetzgebung und Kontrollen des Gesetzgebers reglementiert. Die Endverbraucher sämtlicher deutscher Inlandsnachrichtendienste sind die deutschen Bundesbürger. Unter Berücksichtigung der technischen Möglichkeiten, die es entsprechenden Behörden freistellen, im öffentlichen als auch im privaten Bereich auf sämtliche Daten der Allgemeinheit zuzugreifen, wäre gerade hier eine permanente und objektive Kontrollinstanz zum Schutz der Verbraucher wesentlich. Die hier bestehenden Kontrollen scheinen allerdings in der Hauptsache eines auszudrücken: einen vermeintlichen, guten Willen zur Erfüllung von Regulationen.
Auf der offiziellen Homepage des Bundesnachrichtendienstes wird angegeben, dass die „Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen“ der Behörde durch die Aufsicht eines „umfassenden Prüf- und Kontrollsystem“ sichergestellt wird[10]. Unter dem Hyperlink „Aufsicht und Kontrolle“ werden die staatlichen Kontrollinstanzen zur „Einhaltung der Prinzipien von Rechtstaatlichkeit und Gewaltenteilung“ aufgezählt. Des Weiteren wird hier angegeben, dass die „Dienst- und Fachaufsicht“ durch Abteilung 6 des Kanzleramtes erfolgt [11]. Allerdings wird in dem Eintrag „Dienst- und Fachaufsicht“ nicht darauf hingewiesen, dass der Oberbegriff Abteilung 6 den Bundesnachrichtendienst selbst bezeichnet[12]. Der Leiter dieser Abteilung ist Günter Heiß, selbst ehemaliger Präsident des Verfassungsschutzes Niedersachsen [13]. Herr Heiß wurde, nachdem er 1983 sein juristisches Studium abgeschlossen hatte, Verwaltungsrichter in Niedersachsen und wechselte 1983 ins niedersächsische Innenministerium, wo er ebenfalls mit der Aufsicht des Landesverfassungsschutzes betraut gewesen ist.
Entsprechend war Herr Heiß bereits zu Zeiten der Deutschen Demokratischen Republik ein Verwaltungsbeamter im gehobenen Dienst, dessen politische Karriere auch durch die Wende und politische Neuorientierung der neuen Bundesländer nicht beeinträchtigt wurde. Als weitere Kontrollinstanz wird das Parlamentarische Kontrollgremium genannt, dessen entsprechender Aufgabenbereich in Artikel 45d verfassungsrechtlich im Grundgesetz definiert ist [14];[15]. Das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) ist für die Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes zuständig und besteht aus neun, aus dem Bundestag gewählten, Mitgliedern und steht in seiner Größenordnung als Kontrollinstanz in keinem Verhältnis zu den vielleicht mächtigsten und mit Sicherheit undurchsichtigsten Behörden der Bundesrepublik.
Berlin, den 09. April 2017
Quellennachweise:
[1] Dr. Hans-Georg Maaßen, Bundesamt für Verfassungsschutz: https://www.verfassungsschutz.de/de/startseite
[2] Screenshot der ursprünglichen Warnmeldung des amerikanischen Außenministeriums (die inzwischen aufgrund des nicht mehr aktuellen Zeitrahmens der Meldung deaktiviert wurde): http://telaviv-berlin.com/?p=258
[3] Erhöhung der Sicherheit in Deutschland: Pressekonferenz Thomas de Maizière (auf phoenix) vom 11.08.2016: https://www.youtube.com/watch?v=xKjmiEBPY3w&index=23&list=PLK1qblMtbuh8kXwkOW6joAj84-qwyiVS3
[4] Marco Romano: „Betonblöcke sollen Besucher vor Lkw-Attentaten schützen“, veröffentlicht am 25.08.2016, aufgerufen am 21.03.2017, in hessenschau.de:: http://hessenschau.de/gesellschaft/betonbloecke-sollen-festbesucher-vor-lkw-attentaten-schuetzen,sicherheit-museumsuferfest-frankfurt-100.html
Andreas Weller: „Terrorabwehr aus alten Ziegeln“, veröffentlicht am: 30.09.2016, abgerufen am 21.03.2017 in Sz-online.de: http://www.sz-online.de/nachrichten/terrorabwehr-aus-alten-ziegeln-3506168.html
[5] Stellungnahme zu dem Antrag der Fraktion der CDU und Änderungsantrag der Fraktion AfD über Zwanzigstes Gesetz zur Änderung des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes Drucksachennummer 18/0057 und 18/0057-1: https://www.parlament-berlin.de/ados/18/InnSichO/vorgang/iso18-0010-Stellungnahme%20Senat.pdf
[6] Annett Meiritz und Christoph Sydow: „Terrorfall Anis Amri – Die Fragen nach dem Schuss“. Veröffentlicht am 24.12.2017, abgerufen am 22.03.2017 in: spiegel online.de: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/anis-amri-und-der-anschlag-in-berlin-versaeumnisse-im-anti-terror-kampf-a-1127376.html
[7] „Kleine Anfrage der Abgeordneten Irene Mihalic u.a. und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Der Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt am 19. Dezember 2016 und der Fall Anis Amri – Verantwortung und etwaige Fehler der Sicherheitsbehörden BT-Drucksache 18/10812“, erstellt am 26.01.2017, aufgerufen am 22.03.2017: https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/themen_az/innenpolitik/170131_Antwort_KA_18_10812_Amri.pdf
[8] „Auskunft des Innenministeriums-Berlin-Attentäter Amri war kein V-Mann“, veröffentlicht am 27.01.2017, aufgerufen am 22.03.2017, in spiegel online.de: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/anis-amri-berlin-attentaeter-war-kein-v-mann-a-1131977.html
„Amri war laut Bundesregierung kein V-Mann“, veröffentlicht am 16. Januar 2017; aufgerufen am 19.03.2017, in Zeit online: http://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-01/berlin-attentat-anis-amri-kein-v-mann-bundesbehoerden
[9] Bundesministerium des Innern; Verfassungsschutzbericht 2016, aufgerufen am 09.07.2017: http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/2017/vsb-2016.pdf?__blob=publicationFile
[10] Homepage Bundesnachrichtendienst (Titel Hyperlink: „Aufsicht und Kontrolle“): http://www.bnd.bund.de/DE/Auftrag/Aufsicht_Kontrolle/Aufsicht_Kontrolle_node.html;jsessionid=5744FF729AC9542B9342B76048CC1849.2_cid377
[11] Homepage Bundesnachrichtendienst (Titel Hyperlink: „Aufsicht und Kontrolle /Dienst- und Fachaufsicht“): http://www.bnd.bund.de/DE/Auftrag/Aufsicht_Kontrolle/Dienst_und_Fachaufsicht/dienst_und_fachaufsicht_node.html
[12] Organisationsplan des Bundeskanzleramtes: http://www.bundesregierung.de/ContentArchiv/DE/Archiv17/_Anlagen/2010/2010-12-15-organigramm-bkamt.pdf?__blob=publicationFile
[13] Wikipedia; Günter Heiß: https://de.wikipedia.org/wiki/G%C3%BCnter_Hei%C3%9F
[14] Parlamentarisches Kontrollgremium (PKGr): https://www.bundestag.de/ausschuesse18/gremien18/pkgr
[15] Artikel 45d Parlamentarisches Kontrollgremium: https://www.bundestag.de/parlament/aufgaben/rechtsgrundlagen/grundgesetz/gg_03/245126#045d