Aufgrund der Ermangelung einer nachhaltigen Aufklärung der Affäre Breitscheidplatz habe ich zwischen dem 13. und dem 14. August 2017 sämtliche Vertreter der parlamentarischen Opposition kontaktiert. Fakt ist, dass die Verantwortung für die Einrichtung sämtlicher Ermittlungsprozesse in dieser Sache der bislang amtierenden Regierungsfraktion zufiel. Um dieser Verantwortung gerecht werden zu können, hätte die Bundesregierung entsprechend der grundgesetzlichen Verantwortlichkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses auf Bundesebene veranlassen müssen.
Dieser Schritt wurde allerdings unterlassen. Stattdessen hat die Bundesregierung andere, vor dem Hintergrund ähnlicher Sachverhalte gegen deutsche Nachrichtendienste geführte Ermittlungsprozesse dermaßen behindert, dass das Informationsrecht des Deutschen Bundestages durch ein Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht erstritten werden musste. (Entscheidung Bundesverfassungsgericht: http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2017/06/es20170613_2bve000115.html;jsessionid=F9AD21F07F3D9F10CCB9B05DB9473878.2_cid393)
Parlamentarische Opposition
Deutscher Bundestag
Frau /Herr
Berlin, den 14. August 2017
Sicherung der Oppositionsrechte /Organstreitverfahren 2 BvE 4/14
Sehr geehrte/R Frau /Herr,
vor der anstehenden Bundestagswahl wollte ich mich bei Ihnen, als Abgeordneter der Fraktion DIE LINKE, nach dem Stand des Verfahrens 2 BvE 4/14 Organklage zum BVerfG erkundigen. Ist die Sicherung der Oppositionsrechte und die Gewährleistung deren Effizienz bei der Kontrolle von Regierung und Parlamentsmehrheit durch eine Anpassung der BT-Geschäftsordnung zu erwarten, und wird diese Anpassung ggf. auch für die nächste Wahlperiode weiterverfolgt bzw. umgesetzt?
Sollte vor dem Hintergrund mangelhafter Aufklärung und der Intransparenz verschiedener, die Regierung direkt betreffender Sachverhalte (deren Eintreten in diesem Umfang erst durch die geringe parlamentarische Vertretung und begrenzte Kontrollmöglichkeiten der Opposition ermöglicht wurde), die Sitzverteilung des 19. Deutschen Bundestages ähnlich ausfallen wie die Sitzverteilung der letzten Wahlperiode, erscheint die zusätzliche Verankerung der Oppositionsrechte zur Einhaltung des Demokratieprinzips weiterhin erforderlich.
In diesem Zusammenhang stehen auch die Aufklärungs- bzw. Ermittlungsprozesse verschiedener, dem am 19. Dezember 2016 in Berlin verübten Terroranschlag zugrundeliegenden Sachverhalte. Die bisher erfolgten Untersuchungsprozesse haben auf Länderebene stattgefunden und bislang nicht zuletzt durch diese zusätzliche Beschränkung das Ziel der oftmals versprochenen „rückhaltlosen Aufklärung“ relevanter Sachverhalte verfehlt. Zudem wurde erst am 6. Juli 2017 aufgrund der durch den Berliner Innensenat erstatteten Anzeige (die standardmäßig von Abteilung 3 des LKA Berlin bearbeitet wird) der Untersuchungsausschuss „Terroranschlag Breitscheidplatz“ im Berliner Abgeordnetenhaus eingesetzt.
Auf der Grundlage eines ernsthaften Interesses an der Gewährleistung der „lückenlosen Aufklärung“ der Affäre Breitscheidplatz, die eine objektive Beurteilung bei der Ermittlung der Sachverhalte erfordern würde, ist auch schwerlich nachvollziehbar, warum ausgerechnet dem CDU-Innenexperten Burkhard Dregger der Vorsitz des eingesetzten Untersuchungsausschusses zugesprochen wurde. Burkhard Dregger hat während eines Interviews mit dem Deutschlandfunk schon im Vorfeld angegeben, dass die Untersuchung der Umstände des Terroranschlags nicht den Eindruck erwecken dürfte, dass durch die inzwischen als erwiesen angesehenen Beweisfälschungen eine Voraussetzung für den Anschlag geschaffen wurde. Dieser Aussage widerspricht aber der Erkenntnisstand, dass Amri ohne die Beweisfälschungen hätte verhaftet werden können bevor der Terroranschlag hätte verübt werden können.
Weiterhin wurde Anis Amri schon Monate vor der Tatzeit durch den Verfassungsschutz observiert und als Gefährder eingestuft. So hat auch das nordrhein-westfälische Landeskriminalamt bereits im März 2016 in einem vertraulichen Dokument festgehalten, dass durch Amri „ein terroristischer Anschlag zu erwarten sei“. Da hierdurch festgestellt wurde, dass durch den Terrorverdächtigen eine länderübergreifende Gefahr ausging, fiel die gesetzliche Zuständigkeit entsprechend Artikel 73 (1) 9a. GG und § 5 Abs. 1 BVerfSchG Bund und Verfassungsschutz zu.
Bund und Länder sind gemäß § 1 (2) BVerfSchG ohnehin gesetzlich dazu verpflichtet, in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes zusammenzuarbeiten. Aufgrund dieser Rechtslage ist nicht ersichtlich, weshalb die Bundesregierung versucht, die Zusammenhänge der Affäre Breitscheidplatz ausschließlich auf Länderebene untersuchen zu lassen und hier auch nach den Verantwortlichkeiten sucht (Stand 09.08.2017). Bei einem solchen Ermittlungsverfahren ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Unterlassungen und Mängel im Verlauf der Untersuchungen auf menschliche Versäumnisse eingegrenzt werden d.h., die Verantwortung einzelner Beamter auf Länderebene hervorgehoben wird und die Verantwortlichkeiten der Bundesbehörden ausgeblendet werden. Die Annahme, dass ein Landeskriminalamt Kenntnisse über eine durch den Verfassungsschutz observierte Zielperson hatte und diese Informationen dem Verfassungsschutz über mehrere Monate verborgen geblieben sein könnten, wäre sicherlich falsch.
Die Vorgehensweise der Bundesregierung in diesem Zusammenhang erinnert stark an ähnliche Mordanschläge mit terroristischem Hintergrund (wie der NSU-Mordserie und das Oktoberfestattentat) bei denen Untersuchungsprozesse durch Auskunftsverweigerungen unter dem Vorwand einer vermeintlichen „Gefährdung des Staatswohls“ weitgehend erschwert werden. Dementsprechend wurde kürzlich auch durch das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die Bundesregierung sowohl die parlamentarischen Oppositionsparteien (namentlich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE) als auch den Deutschen Bundestag in ihren Rechten verletzt hat (entsprechend Pressemitteilung BVerfG Nr. 60/2017 vom 18. Juli 2017).
Dieser Schulterschluss zwischen Regierung und Sicherheitsbehörden wird auch vor der Dringlichkeit objektiver Untersuchungsverfahren konkreter Strafbestände und dem sich weiter verdichtenden Verdacht vorsätzlicher Verfahrensverstöße im Fall Anis Amri aufrechterhalten. Das Interesse involvierter Behörden an der Sicherung operativer Geheimhaltung erfährt auf diese Weise größere Berücksichtigung, als das Recht deutscher Bundesbürger an der nachhaltigen Aufklärung der Sachverhalte eines 2016 verübten Terroranschlages in dessen Zusammenhang inzwischen strafrechtlich gegen einen Teil der involvierten Behörden ermittelt wird.
Aber selbst wenn eine Untersuchung dieser Sachverhalte auf Bundesebene durchgesetzt werden sollte, sind die Erfolgschancen der Ermittlungsprozesse durch die Neustrukturierung des Parlamentarischen Kontrollgremiums als einziger Instanz, dem die Bundesregierung die für einen solchen Untersuchungsprozess notwendigen Informationen und Einblicke gewährleisten muss, begrenzt. Das PKGr kann als Informationsschleuse zwischen nachrichtendienstlichen Aktivitäten und Bundestag gesehen werden. Durch diese Umstrukturierung wurden Kontrolle und Ermessen über den Gehalt dieses Informationskanals weitestgehend einer einzelnen Person übertragen, nämlich dem ständigen Bevollmächtigten des PKGr, Arne Schlatmann.
Der Gesetzgeber hat die Pflicht, die Entwicklung der den Geheimdiensten an die Hand gegebenen kriminaltechnischen Mittel zu beobachten und durch eine entsprechende Rechtssetzung ergänzend einzugreifen um effektiv den Grundrechtsschutz zu sichern. Diese Rechtssetzung wurde aber in der Neustrukturierung des PKGr nicht nur nicht umgesetzt, zusätzlich wurden die dem Kontrollgremium zugedachten Untersuchungskompetenzen unverhältnismäßig in der Rolle des ständigen Bevollmächtigten gebündelt. Diese Konstellation ist sehr ungewöhnlich, da für öffentliche Ämter mit einem vergleichbaren Maß an Verantwortung normalerweise Gremien mit gleichberechtigten Mitgliedern eingesetzt werden um die Voraussetzung für eine gegenseitige Kontrolle zu schaffen.
Damit werden der parlamentarische Informationsanspruch und die Gewährleistung des Grundrechtsschutzes durch effektive Kontrollinstanzen staatlich institutioneller Einrichtungen missachtet. Das parlamentarische Informationsrecht ist aber ausschlaggebend für die Untersuchung möglicher Rechtsverstöße und anderer Missstände innerhalb von Regierung und Verwaltung und stellt eine der Grundlagen des demokratischen Rechtssystems dar. Im Interesse deutscher Bürger sollten diese Zustände wenn nötig durch ein Organstreitverfahren verfassungsrechtlich geklärt werden. Denn ohne Beteiligung am Wissen der Regierung kann das Parlament sein Kontrollrecht nicht ausüben.
Zu erkennen ist weiterhin, dass die Bundesrepublik einerseits den Migrationszuwachs (den ich in diesem Zusammenhang politisch völlig wertfrei erwähnen möchte) wesentlich fördert, die Konsequenzen dieser Förderung dann aber als argumentative Grundlage für die Notwendigkeit zusätzlicher Einschränkungen parlamentarischer Informationspflichten nennt. Diese Haltung wird auch durch den Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt Günter Heiß sehr deutlich: „Nachrichtendienste verlieren ihren Wert, wenn sie an die Öffentlichkeit geraten“.
Heiß hat mit dieser Aussage aber nicht nur eine vollkommen einseitige Sicht eines tatsächlich sehr komplexen und auch schwerwiegenden Sachverhalts beschrieben, er blendet darüber hinaus auch den Umstand aus, dass die Informationspflicht gegenüber der staatlichen Öffentlichkeit einen wesentlichen Bestandteil unserer demokratischen Grundstrukturen ausmacht.
Wenn diese Transparenz nicht zu vereinbaren ist mit der Funktionalität deutscher Nachrichtendienste, ist das Gewicht der Einrichtung dieser Institutionen dem unserer demokratischen Grundordnung direkt gegenüberzustellen. Der Einhalt solider demokratischer Grundsätze und Richtlinien kann nur durch staatliche Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit, der Wahrung effektiver Kontrollinstanzen der Bundesregierung und vorrangig durch die parlamentarische Opposition und einer Gewährleistung deren Rechte geschaffen werden.
|
Mit freundlichen Grüßen
Sarah Körfer
Ich verfüge über Informationen die bislang nicht an die Öffentlichkeit gedrungen sind. Darum werde ich mich so lange für eine rückhaltlose Aufklärung der Hintergründe des am 19. Dezember 2016 auf dem Berliner Breitscheidplatz verübten Terroranschlags einsetzen, bis diese gewährleistet ist.
Berlin, den 04. Oktober 2017
Sarah Körfer