Jetzt, um kurz vor Zwei, waren der Saal und die Zahl der Anwesenden für den zweiten, in Raum 113 des Berliner Abgeordnetenhauses gehaltenen Teil der Sitzung ziemlich überschaubar. Marcel Luthe (Abgeordneter FDP), mit dem ich vor einigen Wochen schriftlich und telefonisch korrespondiert hatte, sitzt links gegenüber dem Eingang, vor dem ein Beamter die Namen der Anwesenden auf einem Formular erfasst.
Da wir uns noch nicht persönlich begegnet waren, stelle ich mich Herrn Luthe rasch vor. „Haben Sie jetzt kurz Zeit für ein paar Fragen?“ frage ich um 13:55 Uhr. Da die Sitzung des Untersuchungsausschusses offenbar ohnehin nicht pünktlich beginnt, hat er die. „Für wie zielführend halten Sie die Sitzungen des Untersuchungsausschusses?“ frage ich den Abgeordneten. Herr Luthe scheint etwas aufgebracht und überrascht mich als er antwortet, dass die Frage nach der Bequemlichkeit der Anfahrt der Zeugen mitunter noch die sinnvollste sei.
Als Marcel Luthe wenig später aufsteht um sich etwas zu trinken zu holen, rücke ich eins auf und sitze bei den Vertretern der AfD: neben mir Herr Vallendar, der neben dem stellvertretenden Vorsitzenden Karsten Woldeit und neben Frank Zimmermann (SPD) und direkt gegenüber den Vertretern von DIE LINKE (Hakan Taş und Niklas Schrader) sitzt. Herr Vallendar unterrichtet mich davon, dass er als stellvertretendes Mitglied kein Stimmrecht im Ausschuss hat und die AfD außerdem ein Organstreitverfahren eingeleitet hätte. Darüber würde ich gerne mehr erfahren doch der Sitzungsbeginn wird eingeleitet und ich ziehe mich in den Besucherbereich des Saals zurück.
Kurz darauf beugt sich ein Gerichtsdiener zum Vorsitzenden Burkard Dregger (der schräg gegenüber von mir am anderen Ende des Saals sitzt) und deutet in meine Richtung: direkt hinter mir sitzt eine Frau mittleren Alters mit auffällig blond gefärbten Haaren. Sie wird nach vorne gebeten und da sie offenbar dem LKA angehört und keine geladene Zeugin ist, werden die Anwesenden gefragt, ob Einwände gegen ihre Anwesenheit erhoben werden. Keine Einwände. Der zweite Teil der Sitzung beginnt mit der Befragung einer Mitarbeiterin des LKA Nordrhein-Westphalen: Die Zeugin, deren Name aus Sicherheitsgründen nicht genannt werden darf, scheint ihre Aussage nicht zum ersten Mal zu machen und beschreibt routiniert eine Reihe bürokratischer Prozesse die inzwischen fast zwei Jahre zurückliegen und innerhalb derer man sich über mehrere Monate mit dem zum damaligen Zeitpunkt zur Abschiebung vorgesehenen Terroristen A. Amri befasst hatte.
Nach und nach stellen ihr die Mitglieder des Untersuchungsausschusses sich inhaltlich zumeist überschneidende Fragen. Teilweise geduldig, teilweise forsch. Teils so forsch, dass die Zeugin, für die Anis Amri offenbar über mehrere Monate nichts als ein Name in einer Datenbank und auf ein paar Formularen die sie hatte bearbeiten müssen gewesen war, während der Befragung einen Eindruck an Verzweiflung grenzende Hilflosigkeit vermittelt. Und während sie versucht, die an sie gerichteten Fragen so gut sie es aufgrund ihres eingeschränkten Kompetenz- und Informationsstandes eben kann zu beantworten, wird immer deutlicher, wie wenig zielführend diese Anhörung eigentlich ist.
Eine völlig gegensätzliche Perspektive besaß dagegen der am Vormittag in der Jugendvollzugsanstalt in Moabit vernommene Zeuge, der ein persönlicher Bekannter des Terroristen gewesen war und während der ersten Hälfte der elften Sitzung des Untersuchungsausschusses Aussagen zu dessen Persönlichkeit gemacht hatte. Aber ob diese Befragung zur Persönlichkeit des auf der Flucht erschossenen Terroristen zur Aufklärung „möglicher behördlicher Missstände“ würde beitragen können, ist ebenso eine Frage der Perspektive. Wenig Beachtung scheint dagegen der Verfassungsschutz zu finden. Denn seitdem durch diesen festgestellt worden war, dass durch Amri eine länderübergreifende Gefahr ausging, fiel die gesetzliche Zuständigkeit entsprechend Artikel 73 (1) 9a. Grundgesetz und § 5 Abs. 1 BVerfSchG Bund und Verfassungsschutz zu [1];[2]. Aber durch den hohen Grat an Geheimhaltung und den Ausschluss der Öffentlichkeit von wichtigen innenpolitischen Prozessen entsteht ohnehin der Eindruck, dass im Behördenpanorama der Bundesrepublik ein Rechtsvakuum entstanden ist.
Schließlich wird die zweite Zeugenbefragung beendet und ein nichtöffentlicher Teil der Sitzung eingeleitet so dass wir, die Besucher einschließlich der Presse, veranlasst werden den Saal zu verlassen. Spätestens jetzt wird mir klar, dass die Sitzungen des Untersuchungsausschusses längst kein Pressemagnet mehr sind.
Anderthalb Stunden später informiert mich einer der Journalisten auf dem Flur des Abgeordnetenhauses, dass die Pressekonferenz des Ausschusses beginnen würde. Wenig später stand ich etwas unschlüssig vor der schon verschlossenen Türe des Saals, als ein Mitarbeiter des Ausschusses den Raum verließ und mich lächelnd einlud diesen zu betreten. Als ich daraufhin eintrat, hatte die Konferenz bereits begonnen und die Mitglieder des Ausschusses, die rechts vom Eingang gegenüber den anwesenden Vertretern der Presse am Kopfende des Saals saßen, schauten fragend zu mir herüber. Etwas verlegen stelle ich mich rasch neben das Kamerateam gegenüber dem Podium. „Warum,“ wollte ein Journalist gegen Ende der Sitzung wissen, „wurde der erste Teil des Ausschusses zur Zeugenbefragung in die Jugendvollzugsanstalt verlegt anstatt den Zeugen zur Befragung in das Abgeordnetenhaus zu holen?“
Die Tatsache, dass einer der wenigen Journalisten die an der Sitzung teilnehmen, sich mehr mit organisatorischen als den inhaltlichen Aspekten eines Untersuchungsausschusses befasst, dessen Aufgabe es ist, das Mitverschulden von Sicherheitsbehörden an einem terroristischen Anschlag aufzuklären, scheint zwar niemanden zu verwundern, dafür aber einen ganz eigenen Aussagewert zu haben. Wenig später beendet der Vorsitzende die Sitzung dann auch: „zusammenfassend keine neuen Erkenntnisse.“
Ich verfüge über Informationen die bislang nicht an die Öffentlichkeit gedrungen sind. Darum werde ich mich so lange für eine rückhaltlose Aufklärung der Hintergründe des am 19. Dezember 2016 auf dem Berliner Breitscheidplatz verübten Terroranschlags einsetzen, bis diese gewährleistet ist.
Berlin, den 18. März 2018
Sarah Körfer
[1] Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art 73: http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_73.html
[2] Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz – BVerfSchG)
§ 5 Zuständigkeiten des Bundesamtes für Verfassungsschutz: https://www.gesetze-im-internet.de/bverfschg/__5.html